Artikel aus der Ausgabe 7/8-2021
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ARTIKEL aus der Ausgabe Juli/August 2021
- Umwelt & Gesundheit: 5G Wahn(sinn) ... von Prof. Dr. Klaus Buchner und Dr. med. Monika Krout
- Angst essen Seele auf ... von Wolf Sugata Schneider
- Feuer ins Herz – Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen ... von Gerald Ehegartner
- Großes Herz-Kino! ... von Katja Neumann
- Heimische Hexenkunst ... Auszüge aus dem Buch von CLAIRE
- Jung sein im Alter und reif in der Jugend ... von Sabine Groth
- Schulen in der Coronakrise ... von Peter Maier
„5G muss entweder überarbeitet werden oder verschwinden!“ ... ein Interview mit dem Physiker Prof. Dr. Klaus Buchner und Dr. med. Monika Krout
„5G benötigt für jede Übertragung kurzzeitig eine sehr hohe Strahlung; diese jedoch wirkt auf alle Arten von Körperzellen und kann Krankheiten wie Kreislaufprobleme, Fruchtbarkeitsstörungen, Krebs und Erbschäden hervorrufen. Für ein Umrüsten der 5G-Technik auf biologisch verträgliche Werte gibt es keinen Weg. Es geht aber nicht an, die Gesundheit der Menschen zu opfern, damit sich die Investitionen der Industrie lohnen!“
Der renommierte Physiker und ehemalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments Prof. Dr. Klaus Buchner und die Umweltmedizinerin Dr. med. Monika Krout, Autoren des Buchs „5G-Wahn(sinn)“, wollen über die Risiken der neuen Mobilfunkgeneration und die fragwürdige deutsche Grenzwertpolitik aufklären sowie den Weg zu verträglicheren Technologien aufzeigen.
Seit vielen Jahren untersuchen Sie die mess- und sichtbaren Einflüsse des Mobilfunks auf Mensch und Natur. Welche Auswirkungen sind hier besonders hervorzuheben?
Prof. Dr. Buchner: Das sind zunächst die Schäden für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Wir kennen die biophysikalischen Mechanismen, wie die Strahlung auf die Zellen wirkt.
Weil praktisch alle Arten von Zellen betroffen sind, sind auch die durch die Strahlung erzeugten Krankheiten sehr vielfältig. Darunter finden wir Kreislaufprobleme, verminderte Fruchtbarkeit, Krebs und Erbschäden. Speziell bei 5G und dem „Internet der Dinge“ kommt als weiteres Problem hinzu, dass damit eine perfekte Überwachung möglich wird. Außerdem darf man hier den enormen Energieverbrauch und die Zehntausenden von Satelliten nicht vergessen, die für 5G nötig sind.
Die großen Mobilfunkkonzerne preisen derzeit die angeblich glückselig machenden Vorzüge der fünften Mobilfunkgeneration 5G an. Was ist neu an 5G? Und wo sehen Sie die Probleme?
Prof. Dr. Buchner: Bei 5G werden besonders die hohe Geschwindigkeit der Datenübertragung und die geringe Latenzzeit gepriesen. Man kann beispielsweise in einer Minute mehr Filme aus dem Netz herunterladen, als man sein ganzes Leben ansehen kann. Für manche industrielle Anwendung kann 5G Vorteile bringen. Für autonom fahrende Autos ist 5G praktisch, aber nicht unbedingt nötig. Probleme sehe ich vor allem bei der kurzzeitigen, aber extrem hohen Strahlung, die mit 5G verbunden ist.
Viele Menschen vertrauen darauf, dass die vom Gesetzgeber vorgegebenen Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung ihre Gesundheit schützen. Wer gibt diese Grenzwerte vor, und wie beurteilen Sie ihre Verlässlichkeit?
Prof. Dr. Buchner: Unsere Grenzwerte werden von einem industrienahen privaten Verein, dem ICNIRP e.V., vorgeschlagen, der seinen Sitz im Amtsgebäude des Bundesamts für Strahlenschutz hat. Sie beruhen auf der irrigen Annahme, dass die einzigen Strahlenschäden durch die Erwärmung des Gewebes hervorgerufen werden, die ähnlich wie in der Mikrowelle entsteht. Diese Annahme ist aber seit Jahrzehnten widerlegt.
Frau Dr. Krout, als Ärztin sind Sie direkt mit dem Thema „Strahlungskrankheiten“ konfrontiert. Welche Beschwerden und Erkrankungen können durch ein Zuviel an gepulster Strahlung ausgelöst werden?
Dr. med. Monika Krout: In meiner Praxis klagen immer mehr Kinder und Erwachsene über starke Kopfschmerzen, Rückenschmerzen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Untersuchungen zeigen, dass die meisten dieser Betroffenen eine deutliche Linderung der Beschwerden haben, wenn sie das WLAN zu Hause ausschalten und die Funkstrahlung deutlich minimieren. Als Langzeitschäden der Strahlung sind zudem immer mehr Gehirn- und Augentumoren sowie schwere Durchblutungsstörungen an den Fingern und Zehen festzustellen.
Ein Schwerpunkt Ihrer Forschungen liegt auf der Elektrohypersensibilität (EHS). Wie kam es zu diesem besonderen Interesse? Und welche Erwartungen oder Befürchtungen haben Sie für Betroffene in Bezug auf 5G?
Dr. med. Monika Krout: Mein Ehemann bekam durch Handy-, WLAN- und Sendemaststrahlung zunächst Gleichgewichtsprobleme und Migräne, später unmittelbar durch die starke Funkstrahlung epileptische Anfälle. Im funkfreien Raum hingegen war er beschwerdefrei. Über drei Jahre lang konnte er unser Haus nicht mehr verlassen. In dieser Zeit lernte ich viele Betroffene mit ähnlichen Problemen kennen. In der Hoffnung, dass diese Menschen wieder aus dem „Lockdown“ kommen könnten, forsche ich nun nach den Ursachen. Nur wenn das Wesen einer Erkrankung bekannt ist, kann diese gezielt behandelt werden. Mein Ehemann ist leider verstorben. Die Sendemaststrahlung neben unserem Haus wurde erhöht, während er abends kochte; dem letzten epileptischen Anfall folgte eine tödliche Gehirnblutung.
Ich wünschte mir, dass vielen Menschen das Leid erspart bliebe, welches meine drei Kinder und ich erfahren haben. Falls 5G ausgerollt wird, befürchte ich, dass die Zahl der betroffenen Familien um ein Vielfaches steigen wird.
Herr Prof. Buchner, Sie beraten seit Langem auch Bürgerinitiativen, die sich für die Gesundheit der Bevölkerung und mehr Rücksicht auf die Umwelt stark machen. Wie kann sich eine Gemeinde gegen neue Funkmasten und ein Zuviel an Strahlung wehren?
Prof. Dr. Buchner: Jede Gemeinde kann im Flächennutzungsplan beispielsweise für Wohngebiete niedrige Grenzwerte festlegen. Genau genommen ist sie sogar dazu verpflichtet, weil außer der Bundesregierung nur sie das Vorsorgeprinzip verwirklichen kann, das im Grundgesetz und in den EU-Verträgen verankert ist.
In mehreren deutschen Großstädten ist 5G bereits gestartet. Ist damit das Kind nicht schon in den Brunnen gefallen, gibt es überhaupt noch ein Zurück? Und welche Maßnahmen kann der Einzelne jetzt ergreifen, um sich und seine Familie zu schützen?
Prof. Dr. Buchner: 5G benötigt für jede Übertragung kurzzeitig eine sehr hohe Strahlung. Für ein Umrüsten dieser Technik auf biologisch verträgliche Werte sehe ich keinen Weg. Deshalb muss 5G entweder überarbeitet werden oder verschwinden. Es geht nicht an, die Gesundheit der Menschen zu opfern, damit sich die Investitionen der Industrie lohnen. Schützen kann man sich gegen die Strahlung in vielen Fällen durch Abschirmungen. Material dazu wird von mehreren seriösen Firmen angeboten. Das Problem dabei ist nur, dass das sehr viel Geld kostet und deshalb nicht jedem und jeder zur Verfügung steht.
Sie verteufeln nicht mobile Kommunikation generell, sondern halten die eingesetzte Technik für rückständig. Welche Alternativen würden Sie empfehlen?
Prof. Dr. Buchner: Selbst mit konventioneller Technik kann man die Strahlenbelastung ganz wesentlich senken, wenn es sich um 2G, 3G und 4G handelt. Die Stadt St. Gallen in der Schweiz hat gezeigt, dass ein 50.000stel des deutschen Grenzwerts (bezogen auf die Leistung) genügt, um überall ein schnelles Internet anzubieten. Nachdem aber künftig der Trend zu noch schnelleren Übertragungen geht, wird man zwangsläufig auf Infrarot- oder Lichttechnik übergehen müssen. Solche Systeme stehen heute schon zur Verfügung. Sie sollten statt der 5G-Verbindungen für kurze Strecken eingesetzt werden. Wenn sie richtig angewendet werden, sind damit keine Gesundheitsschäden zu erwarten.
Das Interview wurde im Mai 2021 geführt.
Prof. Dr. Dr. habil. Klaus Buchner (geb. 1941) studierte Physik in München und erwarb in Edinburgh (Schottland) sein „Diplom in der Physik der Elementarteilchen“. Ab 1965 arbeitete er u. a. am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München, wo er in Physik promovierte, sowie am europäischen Forschungszentrum CERN in Genf. Seine Forschungen führten ihn auch an die Universitäten in Kyoto (Japan) und Chandigarh (Indien). Von 1973 bis zu seiner Pensionierung 2006 war Klaus Buchner zuerst Dozent, dann Professor an der mathematischen Fakultät der Technischen Universität München. Seit 1979 ist er Mitglied der wissenschaftlichen Akademie Accademia Peloritana dei Pericolanti in Messina, 1992 erhielt er die Goldene Verdienstmedaille der Universität Breslau. Seit über 20 Jahren berät er Mobilfunk-Bürgerinitiativen und hält heute deutschlandweit Vorträge über den 5G-Mobilfunk. Klaus Buchner war von 2014 bis 2020 Abgeordneter des Europäischen Parlaments für die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und lebt heute in München.
Dr. med. Monika Krout (geb. 1963) studierte Medizin in Marburg. Nach ihrer Promotion war sie mehrere Jahre als Ärztin in der Abteilung für Kinderonkologie an der Kinderklinik der Universität Köln tätig; Forschungsstipendien am renommierten Münchner Max-Planck-Institut und am UTHealth (University of Texas Health Science Center) in Houston erlaubten ihr den Ausbau ihrer Kenntnisse in den Bereichen Onkologie und Hämatologie. Seit 1993 betreibt sie als Fachärztin für Allgemeinmedizin eine naturheilkundlich orientierte Praxis in Aachen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Forschungen zu Elektrohypersensibilität; insbesondere untersucht sie den Zusammenhang von Mobilfunkstrahlung und Herzratenvariabilität.
Buchtipp: Prof. Dr. Klaus Buchner / Dr. med. Monika Krout, 5G-Wahn(sinn). Die Risiken des Mobilfunks / Das gefährliche Spiel mit den Grenzwerten / Die strahlungsarmen Alternativen. Mankau Verlag, 1. Aufl. Mai 2021, Klappenbroschur, 13,5 x 21,5 cm, 255 Seiten, ISBN 978-3-86374-608-7, 16,95 Euro (D) / 17,50 Euro (A)
Angst essen Seele auf ... von Wolf Sugata Schneider
Seltsam,
wie wir ticken. Wir, die in den Jahrhunderttausenden der Steinzeit
entstandenen Homo sapiens, noch immer werden wir von zwei Hauptimpulsen
gesteuert: Angriff und Flucht. Fürs Überleben war das einst
unentbehrlich. Heute ist es das nicht mehr.
Heute
wäre es gut, sich dieser beiden antagonistischen Impulse bewusst zu
sein. Würden wir ihre Auslöser kennen, dann würden wir von ihnen nicht
mehr so leicht gesteuert wie ein Pawlowscher Hund. Heute lauert ja kein
Säbelzahntiger mehr im Gebüsch, heute sind die Bedrohungen andere: da
steuern uns die suchterzeugenden Algorithmen der »Megamaschine« (Lewis
Mumford, Fabian Scheidler u.a.). Allerdings weniger die von autoritären
Regierungen, wie Mumford noch dachte, sondern heute mehr die das
Internet dominierenden Global Players. Gefährlich sind für uns vor allem
die Akteure, die mehr über uns wissen als wir selbst, sei es die im
globalen oder die im lokalen Raum. Das macht Angst.
Die Angst der Strippenzieher
Die
uns mit dieser Angst steuern, haben aber auch selbst Angst. Sie steuern
uns nicht, weil sie einen Masterplan hätten zur Steuerung des
Weltgeschehens, wie viele der Verängstigten glauben. Sie steuern uns,
weil auch sie Angst haben und von unbewussten Motiven gesteuert werden.
Sicherheit gibt es jedoch nicht. Für die Mächtigen und Reichen gibt es
nur ein bisschen mehr Sicherheit als für die Ohnmächtigen. Letztlich
aber haben wir alle erstmal nur sehr wenig von dem unter Kontrolle, was
unsere Außenwelt bestimmt. Viel eher können wir über unsere Innenwelt
verfügen. Durch Kenntnis unserer je eigenen Innenwelten können wir uns
aus der pandemisch verbreiteten Ohnmachtsstarre lösen und in der
Außenwelt aktiv werden, zusammen mit anderen Aktivisten. Kooperation
lindert die Angst, kann sie sogar verscheuchen und ermöglicht so die
Entfaltung einer politischen Wirkung. Auch Corona ist ein Angstphänomen.
Es gibt dieses Virus zwar, sogar in mehreren nicht zu unterschätzenden
Varianten, die mehr Schaden anrichten als die üblichen Grippewellen.
Leugnen und Kopf in den Sand stecken ist da kein gutes Gegenmittel.
Teils noch mächtiger als das Virus selbst ist jedoch die Angst davor.
Auch diese ist mächtig und verbreitet sich massenhaft. Die Möglichkeit
eines Atomkriegs und die Nähe einiger bedrohlicher Kipppunkte der
Ökologie (CO2, Methan, das schmelzende Eis) ängstigen uns jedoch weniger
als dieses Virus. Und auch vor Zigaretten haben wir keine Angst und
rufen gegen die Epidemie der Nikotinsucht keinen nationalen Notstand
aus, obwohl doch Jahr für Jahr mehr als doppelt so viele Menschen an den
Folgen des Rauchens sterben wie an Coronaviren. Warum ängstigt uns
gerade Corona?
Terroristen und Viren
Mir
scheint, dass Infektionskrankheiten uns Menschen ganz besonders
ängstigen. Das passt zu narzisstischen Politikern, die sich im Streben
um die besten Plätze auf den öffentlichen Bühnen mit Hilfe
sensationshungriger Medien als Beschützer der Verängstigten profilieren
und so ihre Popularität steigern. Für diese Beschützerdarsteller eignen
sich Terroristen und politische Gegner als passende Bedrohung,
mindestens ebenso gut aber auch Viren und Bakterien. Homo sapiens wurde
schon immer vor Krankheitserregern bedroht. So ist auch unser
Grundgefühl des Ekels evolutionär entstanden und das Bedürfnis nach
Sauberkeit. Je größer das Kollektiv eines Tieres oder eine Pflanze, umso
größer die Gefahr durch Pandemien. Auch deshalb stellen Kollektive des
Homo sapiens ihre politischen oder sozialen Gegner oft als unrein dar.
Das gilt insbesondere für Kasten, Eliten und Rassisten, deren
Selbstdarstellung zwar biologisch unhaltbar ist, sich jedoch kulturell
für Abtrennung und Herrschaft eignet. Vor diesen Gegnern ‚und anderen
Pathogenen‘ möchte Mensch sich instinktiv mit ethnischen oder
hygienischen Säuberungen schützen. Diese Art des vermeintlichen Schutzes
ist für uns konkreter fühlbar und hautnäher als die Bedrohung durch
eine Zunahme der durchschnittlichen Temperatur der Weltatmosphäre um
zwei Grad. Wir ticken eben nicht rational genug, um große von kleinen,
echte von unechten Gefahren unterscheiden zu können. Wir retten lieber
Bienen als Wespen und lieber Koalabären als Stachelschweine und schützen
uns lieber vor Corona als vor dem Klimakollaps, das fühlt sich einfach
besser und richtiger an. Und den Gefühlen soll man doch folgen, oder?
Die Popularität strenger Beschützer
Das
überraschende Ereignis dieser weltweiten Pandemie und Hysterie hat die
Menschheit anderthalb Jahre lang mehr erschüttert als Kriegsgefahren und
ökologische Katastrophen. Ob die eben vorgetragene Spekulation über die
Ursachen richtig ist, das weiß ich nicht. Das aber weiß ich: Angst ist
nur selten ein guter Ratgeber. Wer sich vor einer konkreten Bedrohung
fürchtet, hat bessere Chancen, ihr angemessen zu begegnen als der sie
Ignorierende. Eine diffuse Angst vor etwas, das wir nicht verstehen,
ergreift uns hinterrücks und verstärkt sich hinter den Rücken der
Fliehenden noch. Sie weicht erst, wenn die Flüchtenden sich umdrehen und
die Gefahr konfrontieren. Wenn es denn wahr ist, dass alles Schlechte
sein Gutes hat, was hat dann diese Pandemie an Gutem zu bieten? Hat sie
uns vielleicht auf noch weit schlimmere, »echte« Krisen vorbereitet, die
bereits im Landeanflug sind? Nicht wirklich, meine ich. Das politische
Management der Krise finden sogar ihre Vertreter großenteils peinlich
schlecht. Die Coronapandemie hat etliche der Superreichen noch viel
reicher gemacht und die Armen (Länder und Individuen) noch ärmer. Die
Pandemie hat der schon vielfach gespaltenen Weltgesellschaft weitere
Risse hinzugefügt, zum Beispiel nun auch zwischen Impfgegnern und denen,
die kaum erwarten können, wann sie mit der Impfung dran sind. Sie hat
große Teile des Kulturbetriebs verödet und Lernen sowie menschliche
Begegnung zu Online-Events gemacht. Davon müssen wir uns erstmal wieder
erholen.
Angst essen Seele auf
»Angst
essen Seele auf« heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem
Jahr 1974. Dieser Film hat jedoch vordergründig gar nicht die Angst zum
Thema, sondern den stumpfsinnigen Alltag einer Gesellschaft, die
Andersartige ausgrenzt und diffamiert. Erst ein tieferer Blick in das
Verhalten der Akteure zeigt, wie auch sie von Angst gesteuert sind. Auch
eine Analyse des Phänomens der Coronapandemie wird tiefer forschen
müssen, als ich es in diesem Text laienhaft versuchte, um zu erkennen,
was die Spanische Grippe von 1918-20, die Hongkong-Grippe von 1968-70
und die Coronapandemie von 2020-21 in ihrer medizinischen Wirkung und
der gesellschaftlichen Reaktion darauf voneinander unterscheidet. Und
was sich daraus für unseren heutigen Umgang mit Pandemien und
pandemischer Angst schließen lässt. Angst und Hysterie gab es ja schon
immer.
Retreat? Gibt es jetzt gratis, als Lockdown
Was
können wir gegen angstgetriebene Pandemien wie Corona tun? Einkehr,
nach innen gehen, uns selbst erforschen? »Alles Unheil in dieser Welt
geht davon aus, dass die Menschen nicht still in ihrer Kammer sitzen
können«, schrieb der französische Philosoph und Mathematiker Blaise
Pascal im von Religionskriegen zerrissenen 17. Jahrhundert. Wer
meditieren kann, ist auch in Pandemiezeiten besser dran als die
Innenweltflüchtlinge. Da brauchst du dein Retreat nicht extra zu buchen,
du bekommst es gratis, staatlicherseits verfügt, als Lockdown.
War
ich grad eben zu zynisch? Mag sein. Die positive Seite der Meditation,
des Retreats und Alleinsein-könnens aber gibt es tatsächlich. Wer
meditiert, ängstigt sich nicht mehr. Insofern ist Meditation eine gute
Krisenprophylaxe. Sie macht resilient und gelassen in sich ruhend. Das
war schon immer gut. Kann sein, dass wir das in Zukunft noch viel mehr
brauchen als bisher.
Wolf Sugata Schneider, Jg. 52. Autor, Redakteur, Stand-Up-Philosopher. 1985-2015 Herausgeber der Zeitschrift Connection. www.connection.de | www.bewusstseinserheiterung.info | www.bachelor-of-being.de
Feuer ins Herz – Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen ... Buchauszug aus dem Roman von Gerald Ehegartner
Gerald Ehegartner ist ausgebildet in Council, in Theater-, Natur- und Wildnispädagogik und als „Vision quest guide“. Er ist Mitbegründer des ersten österreichischen Naturpädagogik-Wahlpflichtfaches – „Abenteuer Natur“ – sowie Mitglied der Initiativen „Lernwelt“ und „Akademie für Potenzialentfaltung“. Die Entfaltung der Potenziale von Kindern und Jugendlichen und der Schutz der Natur liegen ihm besonders am Herzen.
Noah ist im Lockdown gelandet – mutterseelenallein. Er fühlt sich isoliert. Da taucht überraschend sein alter Freund, der Trickster Old Man Coyote, auf. Während dieser literweise Kaffee trinkt, raucht, in Polizeikontrollen gerät und Videokonferenzen crasht, verkocht er nebenbei das fieseste Virus, an dem nicht nur Noah leidet: die Angst. Noah wird klar, dass sich die Menschheit an einem Scheideweg befindet – zwischen Liebe und Angst, freier Gesellschaft und Technokratie. Sein Mentor führt ihn mit Witz und Kreativität aus der inneren Isolation in eine Verbundenheit mit allem Lebendigen. Ein brisanter, hochaktuell gesellschaftskritischer Roman, der das Herz wie ein Lagerfeuer zu wärmen vermag.
John Lennon und die Verwandlung des Raums in Freiräume
Als ich Josef vor dem Haus traf, wirkte er besorgt. »Sollten noch weitere Wochen vergehen und die Wirtschaft nicht arbeiten können, dann wird mit einer heftigen Wirtschaftskrise zu rechnen sein. Noah, ist das nicht eigenartig? Einige Wochen bringen die Wirtschaft ins Wanken. Es genügt also nicht, nur das Notwendigste zu kaufen. Die Wirtschaft braucht Leute, die viel mehr kaufen, als sie brauchen, sonst bricht sie ein. Das irritiert mich als alter Mann. Ihr jungen Leute habt einiges vor euch. Ich beneide euch nicht. In meiner Zeit war fast immer ein Aufschwung. Ich besitze keinen Titel, meine Ausbildung war kürzer. Ich hab gut verdient und nun gutes Geld im Ruhestand. Ihr seid besser ausgebildet, habt aber schlechtere Verträge und weniger Freiheiten. Die heutige Zeit ist doch wie jene Science-Fiction-Romane, die ich gelesen habe. Darüber zu lesen ist eine Sache, darin schön langsam mitzuspielen, beunruhigt mich. Es gibt einen Zeitpunkt im Leben eines erwachsenen Menschen, wo man sich sagt: Ab jetzt mache ich bei technischen Neuerungen nicht mehr mit. Komme, was wolle. Das war bei mir mit der Einführung des Smartphones.«
»Echt Josef? Soll ich dir erklären, wie es funktioniert?«
»Nein, das brauch ich wirklich nicht mehr.«
In der Wohnung kreierte ich mir Penne mit Spargel und Paradeiser. Ich rief meine Großeltern an, die glücklich wirkten, weil es Oma besser ging. Die Quarantäne sollte nicht mehr allzu lange dauern.
Waren die drastischen Maßnahmen notwendig? Die Welt war runtergefahren wie ein vom Virus befallener, überhitzter Supercomputer, um wieder neu aufgesetzt zu werden. Welche neuen Programme spielten am Lieblingsberg wir ihm rauf? Sollten wir uns da nicht mit liebevoll vielfältigen Open- Source-Programmen beteiligen? Wie lange würde es dauern, bis eine gewisse Lethargie und Lähmung bei der Bevölkerung eintraten?
Mir schien die Konfrontation mit der Lebens- und Todesangst wesentlich, denn das Virus Angst griff unsichtbar um sich, auch wenn das neuartige Corona-Virus nicht den Eindruck vermittelte, wie die Pest zu wüten.
Ich dachte an Menschen, die einsam in Krankenhäusern verstarben, an alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, an Alte und Junge, an psychisch Kranke. War es all das wert? Ich hatte meine persönliche Antwort.
Kurz blickte ich auf mein Handy. Sahria hatte mich im Namen der 4a gefragt, ob die Aufgaben tatsächlich bis Freitag zu erledigen wären. Der deutsche Untertitel war:
Herr Lehrer, bitte lernen Sie für die Zukunft, den Lernstoff besser einzuschätzen. Mit der Menge an Übungen verscherzen Sie sich es noch knapp vor dem Zieleinlauf! Bedenkliche Grüße, Sahria
Franziska hatte ein Foto von einem Spruch geschickt. Dieser war in Berts Arbeitszimmer aufgehängt und stammte vom legendären John Lennon.
Wenn es so weit kommt, dass du Gewalt anwenden musst, dann spielst du schon das Spiel des Systems mit. Das Establishment wird dich irritieren wollen, es zupft dich am Bart, es schnippt dir ins Gesicht, damit du kämpfst. Denn, wenn du einmal gewalttätig geworden bist, dann wissen sie, wie sie mit dir umgehen müssen. Das Einzige, womit sie nicht umgehen können, ist Gewaltlosigkeit und Humor.
Ich war beeindruckt, wie sehr der Spruch passte. Es klopfte an der Tür. »Noah, hast du Zeit? Wir könnten mit Abstand ein Gläschen Weißwein trinken. Besten Veltliner aus dem Weinviertel.« Obwohl ich mittlerweile müde geworden war, stimmte ich zu, und bald saßen Josef und Pablo bei mir. Pablo machte es sich auf meiner Couch neben Josef bequem. Ich saß bei Tisch und plauderte mit Josef. Es sprudelte nur so aus ihm. Welch große Freude machte es ihm, endlich wieder ein Gespräch führen zu können.
»Josef, hast du die Hippie-Zeit bewusst miterlebt?«
»Oh ja. Wir waren nicht so angepasst wie die jungen Leute heute. Weißt du was: Wir haben einen Pädagogik-Professor mit Eiern beworfen. Er war einer der Nazis, die später leitende Funktionen ausübten. Unsere Kritik kam damals politisch von links. Heute ist das leider anders.«
Ich las ihm die Zeilen von John Lennon vor.
»Weißt du, dass er mit Yoko Ono einmal in Wien war? Er wurde vom jungen André Heller auf den Wiener Zentralfriedhof geführt, sollte Schubert, den bedeutendsten Liedermacher vor ihm, kennenlernen. Heller schmeichelte Lennon. Dann war Lennon umgeben von den Gräbern großer Komponisten. Mozart, Johann Strauß Vater und Sohn, Johannes Brahms, Beethoven, Gluck, Wolf, Schönberg … Er soll ein Schuhband als Ehrerbietung auf Schuberts Grab gelegt haben. In musikalischer Hinsicht wäre dort der Nabel der Welt am Tag der Auferstehung, soll Heller, der Feuerkopf, noch gemeint haben. Er war früher so narzisstisch, jetzt scheint mir, er hat die Liebe gefunden. Hochkreativ war er immer. Vielleicht braucht es zuerst ein großes Ego, um danach ein großer Liebender zu werden. Ach quatsch, was red ich da? Noah, ich bin ein alter Mann. Der Wein tut sein Übriges.«
Ich schmunzelte. »Josef, Wien ist nicht nur hochmusikalisch, sondern auch der Nabel der Welt in punkto Psychoanalyse, wenn ich an Freud, Adler, Frankl, Reich und so weiter denke.« Mir wurde ganz warm vor Begeisterung. »Und nur keine Entschuldigungen. Es ist spannend, was du erzählst. Vielleicht leuchten jene bei der Erleuchtung am hellsten, bei denen das größte Ego zu verbrennen ist. Die Bezeichnung Feuerkopf ist absolut passend. Würde unsere Welt erwachen, es wäre ein Freudenfeuer, wenn man das Ego bedenkt, das wir besitzen.«
Josef wiegte den Kopf hin und her und nippte noch einmal an seinem Wein.
»Ich liebe William Blakes Poesie«, schwärmte ich weiter, jetzt richtig am Lieblingsberg in Fahrt. »Kennst du Blake? Darf ich dir was vorlesen, das zu unserem Gespräch passt?«
»Von Blake hab ich schon mal was gehört, ist aber lange her. Nur zu, mein Lieber …« Ich kramte nach meinem Buch und fand die passende Stelle.
»Der Stolz des Pfaus ist der Ruhm Gottes. Die Straße der Ausschweifung führt zum Palast der Weisheit. Die Tiger des Zorns sind weiser als die Rosse der Belehrung.«
»Wie wahr, Noah. Für den Beruf des Lehrers sind die Worte nur etwas zu revolutionär. Woher kennst du William Blake?«
»Von John. Er scheint ihn zu lieben und nennt ihn immer wieder eine wilde Engelsseele. Ich glaube, er meint es buchstäblich.«
»Ja, John ist ein besonderer Mann. Der das Leben bereichert, auch wenn er schwer zu fassen ist. Schön, dass er wieder auf Besuch ist. Mir macht es nichts, wenn ihr laut Musik hört. Ich hör nicht mehr so gut, aber was ich höre … Tja, euer Geschmack ist nicht schlecht.«
»Und was ist mit der Zukunft, Josef?«
»Ich mach mir Sorgen, da so viel Angst herrscht. Die einen sind gelähmt, die anderen verlieren sich in absurden Verschwörungstheorien. Vor diesen Leuten hab ich Angst, weil die Angst sie führt. Verstehst du?«
»Wo ist für dich der Unterschied zwischen berechtigter Kritik und Verschwörungstheorie?«
»Echte Kritik ist konstruktiv und sucht nach Lösungen. Sie hat was Positives. Verschwörungstheorien, Noah, die ihren Namen verdienen, suchen nicht nach Lösungen. Sie sind negativ. Während Kritik ein System infrage stellt, schießen sich Verschwörungstheorien auf Personen oder Gruppen ein. Das führt zu Hass und verschlimmert die Probleme doch nur. Natürlich darf man Personen kritisieren, aber du weißt schon, was ich meine.« Josef nippte wieder an seinem Glas Wein.
»Umgekehrt wird leider jede berechtigte Kritik an der vorherrschenden Meinung sofort als Verschwörungstheorie abgetan. Die Freiheit des Diskurses ist dadurch gefährdet. Der alte Liberalismus war offener, demokratischer und setzte auf Vernunft. Der neue Liberalismus, wie wir ihn jetzt erleben, setzt auf eine Cancel Culture. Er grenzt im Namen der Toleranz alles aus, was er als intolerant diagnostiziert, und attackiert die Person selbst. Schriftsteller, Kabarettisten, Wissenschaftler und andere erleben das. Viele Linksliberale sind keine wagemutigen Liebenden mehr, sie sind zu säkularen Frömmlern und Tugendwächtern mutiert. Es sind dieselben Spießer wie damals in den Kirchen, nur ist ihre Sprache nicht religiös, sondern wissenschaftlich gefärbt. Diese Fehlentwicklung passiert immer wieder, wenn sich ehemalige Bewegungen mit hohem Moralanspruch im Establishment eingenistet haben. Wir sind die Guten, die Toleranten. Die anderen sind die Schlechten, die Intoleranten. Die Moral ist auf unserer Seite. So ihr Schlachtruf. Sie treiben die Intoleranz der anderen mit einer Intoleranz ihnen gegenüber aus. Das kann nicht funktionieren.
Früher brannte man den schwarzen Schafen das Wort ungläubig in das Fell, heutzutage das Wort unwissenschaftlich auf die Stirn. Der neue Liberalismus ist prüde, moralisch und lustfeindlich wie die alte Kirchenlehre. Sie geben Liebe oder deren kleinere säkulare Schwester Toleranz vor. Im Kern sind sie aber exklusiv. Diese scheinheilige Doppelmoral … Das führt doch in eine geistige Zwickmühle. Man erwartet offene Räume, steht aber vor verschlossenen Türen oder noch schlimmer: am öffentlichen Pranger.«
»Was ist dann deine Lösung, Josef?«
»Kleine Einheiten, die miteinander kommunizieren, aber auch geschützt sind. Ich träume von Freiräumen … Mit diesen habe ich als Lehrer gearbeitet. Mauern können, bildlich gesprochen, trennen oder schützen. Das eine Extrem wären kleine, getrennte Räume, die keinerlei Verbindung haben. Das andere Extrem ist ein einziger transparenter Raum für alle.«
»Der ließe sich leicht überwachen.«
»Beide Extreme sind unnatürlich. Meine Idee sind kommunizierende Räume. Räume, die durch Türen verbunden sind. Es ergeben sich Nischen, sogar Verstecke. Man darf auch mal unsichtbar sein. Hier bietet eine Mauer sogar Freiheit und Schutz.« Mir kam die Great Green Wall Afrikas in den Sinn, von der Franziska gesprochen hatte. Sie war transparent, bot Schutz und Freiheit. Mauern konnten, wenn sie durchlässig waren, also auch etwas Positives sein. »Noah, das ist meine Philosophie, und sie gilt für mich bei der Organisation von Schulklassen oder Abteilungen bei Firmen bis hin zu Themen, wie wir ein gemeinsames Europa mit den Regionen gestalten. Eine Mischung aus Einheit und Vielfalt, Individualität und Gemeinsinn.« »Gilt sie für dich auch bei Corona?«
»Ja, auch hier brauchen wir Schutz, Differenzierung und Durchlässigkeit. Konkret meine ich den gelungenen, fokussierten Schutz der Risikogruppen, ohne sie wegzusperren. Zwangsschutz für alle, auch wenn sie ihn nicht brauchen, ist gefährlich und beschneidet Grundrechte. Differenzierter und effizienter Schutz wird in Zukunft den Unterschied machen. Ich hoffe, dass man wieder mehr auf Differenzierung setzt. Von generellen Lockdowns halte ich wenig, sie sind wie Breitbandantibiotika, die zu viel kaputt machen und langfristig den ganzen Körper schwächen. Ich hoffe, die Verantwortlichen überlegen sich konkretere Maßnahmen für die Zukunft.«
»Hast du noch Hoffnung für die Menschheit?« »Wir sind eine gefräßige und aggressive Art. Nachdem sich der Homo sapiens sapiens in Europa und Asien ausgebreitet hatte, verschwanden alle anderen existierenden Menschenarten nach und nach. Nur der moderne Mensch blieb übrig. Am Aussterben der Megafauna und der großen Raubtiere hatten wir auch unseren Anteil.«
»Und jetzt verlieren wir die Insekten, Josef. Mir wird schwummerig.«
»Mir ebenso, das liegt aber auch am Wein. Die Flasche ist ja leer. Ich verabschiede mich nun. Wenn ihr mal Hilfe braucht, ich helfe gern.«
»Josef, kennst du den Besitzer des alten Obstgartens gleich nebenan?«
»Ja, die Pfarre. Der Grund wird vielleicht an den Bärenwirt verkauft.«
»Echt? An diesen Halunken?«
»Er will ihn für eines seiner Kinder kaufen. Einige in der Pfarre stellen sich aber quer. Nur gibt es niemanden, der den Garten pflegen würde. Die Leute wollen keine Verbindlichkeiten mehr eingehen.« »Der Garten wäre für unser Wahlpflichtfach eine großartige Sache.«
Ich erklärte Josef kurz, was wir planten. »Du, ich red mit dem Pfarrgemeinderat. Die werden froh sein, wenn ihr die Pflege übernehmen wollt.«
»Das klingt fantastisch. Das gibt mir Hoffnung für unser Wahlpflichtfach.«
»Und ihr habt mir den Glauben an die heutige Jugend zurückgegeben, Noah. Ich glaub trotz aller Befürchtungen, dass wir unsere Aggressivität und Gier im letzten Moment noch ablegen können.«
»Josef, wegen dir habe ich noch Hoffnung für die Alten, pardon, für die Vergangenheit. Nein, ich meine natürlich für die Zukunft.«
Buchauszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Buchtipp! Gerald Ehegartner: Feuer ins Herz – Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen. jkamphausen 1.2021, Softcover, 368 Seiten, ISBN: 9783958835184, 20 Euro
Großes Herz-Kino! Unser Film des Lebens und wie wir wieder die Regie übernehmen ... von Katja Neumann
Aus dem Universum betrachtet ist jedes Leben ein unglaublich spannender Film – Geschichten, die nur das Leben schreiben kann. Es sind Filme, die, wenn sie rauskommen (Mensch geboren wird) in ihrem Drehbuch noch nicht fertig geschrieben sind. Seele reißt sich darum, für jede Rolle mal besetzt zu werden. Wir vergessen das dann nur meist, dass wir es so wollten, und, dass wir das Drehbuch jeden Tag umschreiben dürfen. Es ist ja unser ganz persönlicher Film.
Die Illusion
Das Licht geht aus, der Vorhang hoch, Knistern in der Luft, leises Murmeln und Lachen – gespannte Stimmung und Vorfreude. Der Vorspann, die Schauspieler, alles sehr vielversprechend. Und alles drin in der Geschichte: ein bisschen Drama oder auch ein bisschen mehr, mindestens eine Liebesgeschichte, nicht immer gesund, Abhängigkeiten, verletzte Egos, Blut fließt oder doch immerhin Tränen, am Schluss liegen sich alle in den Armen, und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie jetzt noch wahnsinnig glücklich. Vorhang fällt, Tränen werden getrocknet, puh, das ging ja noch mal gut aus. So haben wir gelernt, dass es funktioniert, relativ eindimensional, Vorgeschichte, Drama, manchmal Krimi, immer Abspann und am Schluss Happy End. Davor Werbung mit langbeinigen Models, die selbst wünschten, dass sie so aussehen würden, ganz ohne Photoshop. So. Und dann kommt das echte Leben und hat NICHTS damit zu tun. Warum sagt einem das keiner? Dass es so nicht funktioniert? Dass nicht der Prinz auf dem weißen Pferd (Schimmel) vorbeigeritten kommt und Frau einfach rettet. Oder die Prinzessin auf schwarzen Pferden (Rappen), den armen Mann hinter sich auf den Sattel zieht und in den Sonnenuntergang reitet … wäre zeitgemäß, aber genauso eine Illusion. Doch, ich finde das ein bisschen lustig, denn es kommt keiner, der uns rettet.
Zum Ernst des Lebens
Wir nehmen es ja bitter ernst, das Leben. Die Konditionierung suggeriert uns, was wichtig ist. Und der übliche Antrieb dafür von klein auf ist Angst. Angst vor der Mathearbeit; Angst, in der Schule nicht gemocht zu werden; Angst, zu dick zu sein, nicht schön genug, die falsche Markenklamotten anzuhaben, Angst, durchzufallen, den Job nicht zu bekommen; Angst, die Eltern zu enttäuschen etc. Also strengen wir uns an, funktionieren so gut und lange es eben geht – oder eben auch bis gar nichts mehr geht, bis zum Totalausfall und wir zusammenklappen. Wir vergessen dabei völlig uns selbst, dass wir hier sind, weil wir es so wollten, in einer multidimensionalen Welt, die so viel mehr ist als Karriere, Eigenheim und Idealgewicht. Wir sind Seelen, die Körper bewohnen und nicht Körper mit ein bisschen Seele drin, die vor allem nach außen schick aussehen müssen. Alleine schon unsere Anwesenheit auf diesem schönen Planeten ist die Daseinsberechtigung an sich! Wir müssen nicht beweisen, dass wir hier Luft wegatmen dürfen, wir müssen uns unser Glück nicht „verdienen“.
Die andere Wahrheit
In den alten schamanischen Völkern auf der ganzen Welt, ist jemand, der nicht funktioniert – also vielleicht sogar überhaupt gar nicht – und so ganz anders ist als alle anderen, nicht automatisch ein Verlierer oder Spinner, bekommt keine psychologischen Stempel wie Bipolar, Borderline oder ADHS etc. und wird nicht ausgesondert, medikamentös „eingestellt“ und gebrandmarkt. Im Gegenteil, sogenannte Makel, die wir hier als solche überhaupt erst so benannt und als gültige Wahrheit deklariert haben, werden immer ernst genommen als Zeichen der Spirits. Da die Schamanen, Heiler und Medizinmenschen auf Zeichen, die Geister und auf Seele hören, wird ein Mensch mit besonderen Symptomen immer in die Mitte der Gemeinschaft genommen und oft wird erkannt, dass er nur darunter leidet, dass er besondere Fähigkeiten besitzt, die Geister mit ihm sprechen wollen, er aber noch nicht gelernt hat, damit umzugehen. Also wird ihm geholfen, das zu lernen. Er bekommt eine Ausbildung als Heiler, Seher, Schamane – was auch immer angezeigt ist von den Spirits – geht in die Lehre und darf erfahren, dass das, was er kann, etwas Besonderes ist und den Menschen dienen kann, genauer, sogar muss. Die Gabe, nicht zu leben, könnte Krankheit, Wahnsinn oder sogar den Tod bedeuten. Es entsteht also auch eine Verpflichtung den Geistern und der Gemeinschaft gegenüber und es wird nicht nur das Ego gefüttert. Diese Verantwortung ist heilig und wird sehr ernst genommen.
Darin steckt sehr viel Schönes. Zum einen wird Mensch mit seinem vermeintlichen Dilemma nicht alleine gelassen, sondern in seiner Besonderheit gefördert, zum anderen zeigt es, dass man auf die gleiche Situation – ein Mensch „funktioniert“ nicht – aus zwei sehr verschiedenen Sichtweisen etwas völlig anderes machen kann. Die westliche Welt sondert aus und sperrt weg, die alten Indigenen geben dem Rohdiamanten den Schliff, den er braucht zum Leuchten. Und wird so ein wertvoller Bestandteil des großen Ganzen.
Reise in dein Herz, deine Wahrheit
Wir tragen diese Weisheit, diesen Rohdiamanten genauso in uns wie ein Indigener in den Anden oder Tibet. Seele verlernt das nicht, die Weisheit und Schönheit ist nur meist begraben unter Schichten von Glaubenssätzen, Konditionierungen und Ängsten. Um uns selbst wieder zu fühlen, herauszufinden, wer wir wirklich sind hinter all dem, was die Dressur (das meine ich sehr ernst, dieses Wort) aus uns gemacht hat, braucht es neben etwas Übung (Gewohnheitstier!) und Zeit, vor allem endlich wieder den Blick nach innen.
Übung: abends im Bett
Eine schöne Übung beziehungsweise schamanische Reise, die ich abends im Bett und auch in meinen „Reisegruppen“ gern mache, ist die ins eigene Herz. Ob man das jetzt Meditation oder Reise nennt, in Stille macht oder mit Trance Trommel begleitet ist dabei einerlei. Wichtiger ist die Regelmäßigkeit, denn es dauert ganz neurobiologisch gesprochen etwa zwei-drei Monate, bis wir unsere Synapsen neu verschaltet haben, also die alten inneren Kinoprogramme auf Seelenfestplatte geupdatet haben und somit nicht immer den gleichen Film in Dauerschleife gucken müssen. Wir sind Gewohnheitstiere – auch in unseren Dramen und Ängsten.
Ich gehe dabei ganz bewusst mental aus meinem Kopf raus, so, als wenn eine kleine Katja, die eben da oben im Hirnkämmerchen sitzt und alles „zerdenkt“, aufsteht, die Wendeltreppe durch den Hals bis zum Herzen geht – oft mit unbequemen dunklen Klamotten, schweren Schuhen und allerlei Gepäck. Am Herzen angekommen öffnet sich das erste Tor zur Vorkammer, die bei mir aussieht wie der Duschraum in einem schönen Spa-Bereich, denn erst mal ist die Reinigung dran, so beladen und verschmutzt sollte man sein Herz genauso wenig betreten wie eine Sauna.
Alles wird abgelegt und abgestreift, Lichtduschen waschen innen wie außen dunkle Gedanken, Ängste und Fremdenergien ab. Ich sehe gerne zu, wie die dreckige Brühe in den Abfluss läuft, freue mich über den Ballast, der gehen darf und die Leichtigkeit, die bleibt. Dann werde ich hergerichtet wie eine griechische Königin, ein schönes fließendes weißes Gewand mit Goldschnalle, ein Diadem mit einem leuchtenden Stein, der genau auf meinem dritten Auge sitzt. Und eingehüllt in heilige Düfte darf ich dann vor das Haupttor treten, dass sich ganz von selbst öffnet, sofern die Frequenz stimmt. Es ist nicht schlimm, wenn man mit Trauer kommt oder innerer Not, aber die Energie sollte rein sein und bedingungslos.
Was sich mir dann zeigt, ist mein ganz persönliches Kino, mein Herz Raum gleicht einem Tempel voller Natur, Wasserfälle und Tieren, mit viel Moos auf dem Boden und einem Feuer in der Mitte, Liegeoasen an den Rändern, wie Höhlen voller Kissen und Decken immer mit einer Öffnung nach oben, dass man in den (Sternen)Himmel sehen kann. Es gibt große bogenförmige Fenster ohne Glasscheiben aber mit leichten wehenden weißen Vorhängen und einem weiten Blick in eine atemberaubende und heile Natur. Und immer wieder Tiere. Grasende Rehe, Schmetterlinge… und natürlich meine Krafttiere, die sich nach und nach zu mir gesellen.
Und ich gestalte, wie ich es brauche. Manchmal ist das Feuer in der Mitte am Anfang sehr klein, dann braucht es mehr Zuwendung oder ich rufe meine Ahnen und/oder Herzmenschen herein. Es kann auch sein, dass jemand anwesend ist, den ich da gerade gar nicht haben möchte – dann bitte ich ihn zu gehen, bis alles stimmt, bis alles so ist, wie ich es brauche, um in meiner in diesem Moment höchstmöglichen (göttlichen/universellen) Ordnung zu sein. Den Frieden und die Dankbarkeit so lange wie möglich zu genießen, zu verweilen, ist die Kunst. Nicht gleich weiterhuschen, wenn alles getan ist, sondern die Schönheit aushalten, verinnerlichen – wirklich, ja wirklich tief drinnen spüren.
Unser Hirn unterscheidet nicht – kann nicht unterscheiden (!) ob wir uns gerade wohl oder gar glücklich fühlen, weil etwas draußen in der alltäglichen Wirklichkeit passiert oder nur in uns, eine nicht-alltägliche Erfahrung ist.
„Unsere Energie folgt den Gedanken. also sieh zu, dass Deine Gedanken da sind, wo Du sein möchtest.“
Dein Herz-Raum darf dabei so aussehen, wie Du das möchtest, nichts ist schöner als kreativ aus dem Vollen zu schöpfen und Deine innere Wirklichkeit zu malen. Solltest Du noch kein Krafttier haben, frag danach, ob sich eins zeigen mag. Sie wohnen quasi in unserem Herz-Raum, sind immer bei uns, wenn wir das möchten. Wir tragen sie in unserem Herzen. Wenn Du Fragen hast an Verstorbene, an innere Lehrer, an Deine Seele, dann stelle sie dort. Wenn etwas anfangs nicht so aussieht und nicht genug Schönheit anwesend ist, dann ändere es. Wo soll sie denn sonst anfangen, wenn nicht in Dir? Jedem Film liegt ein Drehbuch zugrunde und in Deinem Film sollte Dir keiner mehr reinreden dürfen, weder über Kulisse oder gar Handlung. Das haben wir lange genug zugelassen.
Es gibt diese Tiefs und Stimmungen, da hilft kein schlauer Ratschlag, da ist das Loch schon da und die Schnappatmung verhindert jeden heilsamen Gedanken, und auch innere Reisen sind nicht mehr möglich … Wer kennt das nicht?
Dann sing! Bitte. Ganz biologisch kann das Angst-Zentrum nicht funktionieren, wenn man singt. Es ist dann ausgeschaltet. Also egal was, aber sing.
Meine Film-, Buch- und Musikempfehlungen:
Film: „Crazywise“ von Phil Borges
Video: „60 Sekunden Lachen“ von Vera Birkenbihl
Buch: „Du bist das Placebo“ von Dr. Joe Dispenza
Buch: „Auf der Suche nach der verlorenen Seele“ von Sandra Ingerman
Mantra: „Shima“ gesungen von Deva Premal (heißt Liebe auf Hopi und das Mantra besteht aus diesem einzigen Wort)
Katja Neumann: schamanische Heilpraktikerin mit Praxis im Prenzlauer Berg, Stargarder Straße 12A
Nächster Workshop: Schamanisches Reisen lernen, 28. August 2021, 12-16 Uhr, 80 Euro und regelmäßige offene Gruppen, Anmeldung unter Tel. 030-44715357, info@katja-neumann.de, www.katja-neumann.de
Heimische Hexenkunst ... von CLAIRE
Familien-Harmonie-Zauber
Ja,
diese wunderbaren Familien in der Werbung. Ein charmanter Hauch von
Chaos hier und da, aber dank Mutter, Vater und dem beworbenen Produkt
sind alle rundum happy. Im echten Leben sieht das deutlich
differenzierter aus. Familien bestehen nicht unbedingt aus Mutter, Vater
und Kindern. Manchmal ziehen Großeltern und die Mutter die Kinder groß,
es gibt alleinerziehende Väter, Regenbogenfamilien und die
unterschiedlichsten Patchwork-Konstellationen. Egal, in welcher Form man
Familie lebt, Spannungen lassen sich dabei nicht vermeiden. Konstruktiv
genutzt können sie zum Motor wichtiger Veränderungen und Anpassungen an
das werden, was die Mitglieder bewegt. Dazu muss man aber erst einmal
an den Punkt kommen, wo inmitten von Spannung und Kontra der neue Weg
entspringt, den man gemeinsam gehen kann.
Es geht in diesem
Harmoniezauber also nicht darum, Unterschiede glattzubügeln und
Spannungen unter einer erdrückenden Decke aus gespielter Harmonie zu
halten. Es geht darum, sie aufzunehmen und aus ihrer Energie etwas Gutes
zu machen. Die Ringelblume ist eine alte Liebeszauberpflanze und auch
eine Pflanze der Übergänge. Diese Mischung macht sie zur idealen Pflanze
für Familienthemen.
Für Harmonie
Wenn
es bei euch gerade hoch hergeht und du den Weg zu guten Lösungen öffnen
möchtest, verwende eine Kerze, die aus Bienenwachs-Waben gerollt ist.
Rolle sie ein wenig auf und schiebe kleine Ringelblumenblüten-Stücke und
Blütenblätter unter das Wachs. Rolle sie dann wieder zusammen und
stelle sie auf einen ausreichend großen Untersetzer, durch die Kräuter
wird sie nicht ganz gleichmäßig abbrennen. Entzünde die Kerze und bitte
darum, dass sich gute Wege für euch finden, die aktuellen Spannungen zu
lösen und in etwas Positives zu verwandeln. Lass sie in einem Zug oder
in insgesamt drei oder sieben Etappen herunterbrennen.
Bleib
bei diesem Zauber immer am Aktuellen dran. Versuche nicht, alle Themen
unterzubringen, die es so gibt, sonst streust du die Energie zu weit und
sie kann nicht mehr zielgerichtet wirken. Nimm dir das vor, was gerade
so richtig querliegt. Alles andere kannst du mit einem späteren Zauber
bedenken, wenn es als Thema wieder aktuell wird. Und was auch sehr
wichtig ist: Diktiere keine Lösungen. Die Lösungen finden »die da oben«.
Wir Menschen haben eine begrenzte Sichtweise, ganz besonders dann, wenn
wir meinen, die einzig wahre Lösung zu kennen. Bleib offen, beschreibe
die Ausgangslage, und bitte um den Einstieg in eine Lösung, die für alle
zum Besten ist.
Gute Freunde finden
In
einer Befragung unter Menschen, die für ihre internationale Firma in
Deutschland arbeiten, stach ein Punkt besonders heraus. Die Befragten,
die aus den unterschiedlichsten Ländern kamen, erwähnten, dass es
hierzulande schwer sei, neue Freunde zu finden. Der einhellige Tenor
war: Um die dreißig herum schließt sich diese Tür und man hat die
Freunde, die man eben hat oder auch nicht hat. Es ist bei uns also ab
einem gewissen Alter schwerer als in anderen Ländern, wirklich
tiefgehende Freundschaften zu schließen, es bleiben dann eher lockere
Bekanntschaften.
Dieses Problem haben nicht nur Menschen aus
anderen Ländern, sondern auch wir selbst. Die Leute aus der Generation
meiner Eltern haben oft ihr ganzes Leben lang am selben Ort gewohnt. Sie
haben jetzt im Rentenalter teilweise noch Freude aus dem Kindergarten.
Bei uns ist das deutlich unübersichtlicher, schon beim Übertritt von der
Kita zum Kindergarten, dann weiter in der Schule und spätestens zu
Beginn des beruflichen Weges werden Freundschaften auseinandergerissen
und die Karten neu gemischt. Auch die Arbeitswelt ist nicht mehr wie
damals ein Ort, an dem man ziemlich zuverlässig neue Freunde findet.
Trotzdem sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken.
Wenn
zwei Menschen ähnlich ticken, wird es automatisch klick zwischen ihnen
machen, und sie können den Weg in Richtung Freundschaft gehen. Es ist
also wichtig, solchen Menschen über den Weg zu laufen, und da setzt der
folgende Zauber an.
Du benötigst dafür drei Symbole für
dich selbst, das kann zum Beispiel ein Kettenanhänger sein, dazu ein
Stein, den du magst, und ein paar Kaffeebohnen, wenn du leidenschaftlich
gern Kaffee trinkst. Es muss nichts Magisches oder Mystisches sein, es
sollten wirklich Dinge sein, die du gern magst. Frei aus dem Bauch
heraus, ohne magische oder psychologische Tiefeninterpretation. Wenn zum
Beispiel Urlaub in einer bestimmten Gegend dein großes Glück ist, dann
nimm eine Postkarte oder ein Foto von dort. Wenn du verrückt nach Katzen
bist, ist eine kleine Plüschkatze denkbar. Lass dein Herz sprechen, es
sind Dinge, die dir von selbst ein Lächeln auf die Lippen zaubern, wenn
du sie anschaust.
Außerdem brauchst du eine große gelbe Kerze
und Klee. Den findet man das ganze Jahr über, im Winter sogar unter dem
Schnee. Der Klee – auch der dreiblättrige – ist eine alte Glückspflanze
und zieht Freude, glückliche Wendungen und unverhoffte Zufälle in unser
Leben.
Für neue Freunde
Befestige
einige frische Kleeblätter mit etwas heißem Wachs auf der Kerze und
stell sie auf einen sicheren Untersetzer. Leg oder stell die drei
Gegenstände davor und entzünde die Kerze. Bitte dann um gute
Freundschaften mit Menschen, die zu dir passen und mit denen es diesen
verbindenden inneren Funken gibt. Lass die Kerze brennen, bis du sie
nicht mehr beaufsichtigen kannst, und lösche sie dann. Du kannst sie
jederzeit wieder anmachen, wenn du diesen inneren Wunsch nach
Freundschaft spürst.
Alte Freundschaften neu beleben
Es
gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum man Freunde aus den Augen
verliert. Manchmal sind es unausgesprochene Dinge, die in der Luft
hängen. Meist ist es einfach der hektische Alltag mit seinen zahlreichen
Anforderungen. Oft versetzt man die Menschen am häufigsten, die man am
liebsten mag, weil sie Verständnis dafür haben, und trifft sich
stattdessen mit Leuten, die mehr Druck machen oder wo es unumgänglich
ist. Hier kann das gute alte Vergissmeinnicht helfen.
Es mag
sich ein wenig kitschig anhören, aber diese Pflanze kennt jeder seit
Kindertagen und weiß, dass ihre blaue Farbe für die Treue steht. Solche
langjährigen Prägungen sind ideale Voraussetzungen für die Magie, weil
man nicht erst noch innere Verbindungen schaffen muss, sie sind schon
da.
Zum Beleben alter Bande
Nimm
für diesen Zauber zwei hellblaue Kerzen und ein Sträußchen
Vergissmeinnicht. Die Kerzen stehen für euch beide — dich und den
verlorenen Freund oder die Freundin. Stell sie links und rechts neben
dem Sträußchen auf und entzünde sie. Bitte darum, dass eure Freundschaft
neu belebt wird, auf eine Weise, die für euch beide gut ist. Lass die
Kerzen möglichst in einem Zug herunterbrennen, ansonsten sind auch
insgesamt drei Etappen denkbar. Wenn der Zauber abgeschlossen ist, geh
auf die andere Person zu, melde dich bei ihr. Mit der guten Energie des
Rituals im Rücken wirst du das Bestmögliche zwischen euch beiden
erreichen.
Die Formulierung »auf
eine Weise, die für euch beide gut ist« ist wichtig, denn man soll mit
einem Zauber nicht über den Kopf von anderen hinweg arbeiten. Wenn es
nicht sein soll, wenn es für die andere Seite nicht stimmig ist, dann
muss der Zauber genug Luft haben, diese Möglichkeit mit zu umfassen.
Betrachte ihn als eine Art Anfrage nach »oben«. Du machst dich bemerkbar
und bittest um Unterstützung.
Buchauszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Buchtipp:
„Heimische
Hexenkunst“ ist ein praktisches Handbuch für Hexen, Magier und alle,
die es werden wollen. Im Gegensatz zu vielen anderen Hexenhandbüchern
konzentriert sich die Autorin Claire nicht auf die Magie mit Wurzeln im
angelsächsischen oder asiatischen Raum sondern auf den Wissensschatz der
mitteleuropäischen Vorfahren. Denn auch im europäischen Kulturraum gab
und gibt es seit vielen Jahrhunderten eine lebendige, starke magische
Tradition. Diese Tradition wiederzuentdecken und für die heutige
magische Praxis anwendbar zu machen, darauf liegt der Fokus von Claires
neuem Buch.
CLAIRE:
Heimische Hexenkunst – Die Wiederentdeckung unserer magischen Wurzeln.
Das praktische Handbuch für moderne Hexen. Ansata 11.2020, Hardcover mit
Schutzumschlag, 272 Seiten, 13,5 x 21,5 cm mit 8 Seiten Farbteil, ISBN:
978-3-7787-7561-5 € 20,00 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,90
Jung sein im Alter und reif in der Jugend – Wie wir Weisheit, Heilung und Kraft aus jeder Lebensphase schöpfen ... von Sabine Groth
Die alterslose Frau – sie ist geworden, wer sie ist. Jugendwahn und gängige Schönheitsideale hat sie abgestreift wie ein zu enges Kleid. Vorbei die Zeit, in der sie sich anpasste, um zu gefallen. Dem Mann ist sie ein gleichwertiges, aber nicht gleiches Gegenüber. Der anderen Frau begegnet sie auf Augenhöhe, solidarisch, loyal. Ihr Alter: wandelbar und allumfassend. Ihre Schönheit: lebenslang. Die alterslose Frau – sie schlummert in uns. Wir können sie erwecken.
Mein fünfzigster Geburtstag war kein Tag wie jeder andere. Schon Monate vorher erschien mir die Zahl 50 wie ein endgültiger Abschied von der Jugend. Alte Vorstellungen aus meinen jungen Jahren tauchten plötzlich wieder auf: 50 – die Zeit der Wechseljahre. Allein das Wort »Wechseljahre« hatte bei mir früher die Befürchtung ausgelöst, dass nun Verfall und Krankheiten mein Leben bestimmen würden. Wie sehr ich mich irrte, sollte ich schon bald erfahren.
Die Haltung zum -Alterungs-prozess
Eine Befragung bei Freundinnen und Frauen gleichen Alters ergab, dass viele diese Vorstellungen und Ängste teilten. Besonders erschütternd war das Ergebnis meiner Umfrage unter den jungen Frauen: Sie hielten die Wechseljahre und den weiblichen Alterungsprozess für eine schleichende Abdankung an das Leben, einen bedauernswerten, ja beinahe mitleiderregenden Zustand. Ein gutes Leben mit faltiger Haut konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Einige erzählten mir, dass sie den weiblichen Lebenslauf schlichtweg als Fehlkonstruktion empfinden. Während sie bei Männern das graue Haar und die Falten als Zeichen von Lebenserfahrung und Reife betrachteten, fühlten sie selbst sich dazu aufgerufen, dem Diktat »jung um jeden Preis« zu folgen. Die Werbe- und Kosmetikindustrie suggerieren uns täglich, dass eine Frau nur dann eine echte und begehrenswerte Frau ist, wenn sie jung, schlank und faltenfrei ist. Kein Wunder, dass die meisten Frauen diese abwertende Einstellung ihrer Kultur zum weiblichen Älterwerden übernommen haben und so manch runder Geburtstag Ängste und regelrechte Krisen unter uns Frauen auslöst, anstatt, dass er mit Stolz und Selbstbewusstsein gefeiert wird. Meine Umfrageergebnisse hatten mich erschüttert. Ich wollte etwas ändern und machte mich auf die Suche nach einer hoffnungsvolleren Einstellung zum weiblichen Lebenslauf: Die Wechseljahre als Auftakt in ein neues Stadium zu betrachten, in dem Frauen sich noch kraftvoller, gesünder, freier, weiser und lebendiger erleben als je zuvor. Jetzt – jetzt erst recht! – sollte das gute Leben beginnen und weitergehen! Doch wie können wir das erreichen? Ich begab mich auf Forschungsreise.
Jugendlich sein mit der Weisheit des Alters
Zunächst war klar, dass es nicht nur der Traum vieler moderner Frauen, sondern auch ein alter Menschheitstraum ist: jugendlich zu sein mit der Weisheit des Alters. Seit jeher versuchen Menschen dem Alter ein Schnippchen zu schlagen und Alterslosigkeit zu erlangen. Einige beziehen die Alterslosigkeit ausschließlich auf ihren Körper. Mit Sport, der richtigen Ernährung, Kosmetik oder chirurgischen Eingriffen versuchen sie die Jugend zu konservieren und den Alterungsprozess hinauszuzögern. Andere hinterfragen dagegen den Jugendwahn mit seinen Schönheitsidealen. Sie entwickeln eigene, neue Vorstellungen von Schönheit und versuchen die Qualitäten der verschiedenen Lebensphasen in sich zu entwickeln: die Neugier des Kindes, die Unbeschwertheit der Jugend, die Fürsorge der Elternschaft, die Schöpferkraft der reifen Jahre und die Weisheit der Alten.
Reifestadien
All diese Qualitäten stellen sich ja nicht automatisch in einem gewissen Lebensabschnitt ein. Sie fallen nicht in einem bestimmten Alter vom Himmel, sondern sie sind der Ausdruck unserer Reifung. Dieser Reifungsprozess setzt bei uns allen schon in Kinder- und Jugendjahren ein und dauert bis ins hohe Alter an. Die Reifestadien werden dabei nicht unbedingt chronologisch erlangt. Ein Mensch kann ein Stadium schon in jungen Jahren durchleben, ein anderer durchläuft dieses Stadium erst im höheren Alter. So kann eine Zwanzigjährige schon die Narben einer Achtzigjährigen davongetragen haben, und ein Achtzigjähriger kann sich noch im seelischen Reifestadium eines jungen Mannes befinden. Kein Reifestadium ist dem anderen übergeordnet, besser, weiter oder schöner als das Andere, sondern jedes Stadium ist zu seiner Zeit gut und richtig.
Ein starkes Duo: Jugend und Weisheit
In den traditionellen Märchen und Mythen sind die junge Frau und die weise Alte meist ein unzertrennliches Duo. Wenn eine junge Frau Kummer hat, erscheint nur selten ein junger, holder Prinz und errettet sie aus ihrer Not. Viel häufiger kommt eine weise, alte Frau wie aus dem Nichts daher. Sie flüstert die wegweisenden Worte, die die junge Heldin bedenken und deuten muss. Junge Prinzen sind demnach gut, manchmal sogar hervorragend, aber es ist die alte Frau, die in den traditionellen Geschichten über die entscheidenden Güter in herausfordernden Situationen verfügt: Weisheit, Seelentiefe und Einfühlungsvermögen. Die junge Frau dagegen besitzt Unbekümmertheit, Neugier und Kraft. Zusammen ist dieses Duo unschlagbar und in der Lage, die Herausforderungen des Lebens zu meistern. Dieses Jugendliche ist in allen Lebensstadien ebenso in uns wie das weise Alte, denn wir alle stoßen immer wieder auf Bereiche, in denen wir uns jung, unerfahren und unwissend fühlen und der Einweihung durch einen erfahrenen Menschen bedürfen. Ebenso sitzt das alterslose, uralte Wissen in einem Winkel unserer Seele bereit, angezapft und befragt zu werden, um dem jüngeren Ich hilfreich, trostspendend und klug zur Seite zu stehen und ihm beim nächsten Schritt zu helfen.
Schritte zur Alterslosigkeit
Wie können wir Jugend und Weisheit ganz konkret in uns vereinen? Und wie können wir Qualitäten entfalten, die scheinbar jenseits unseres tatsächlichen Lebensalters liegen? Menschen, die zugleich reif und jugendlich sind, haben nach meiner Beobachtung folgende Fähigkeiten entwickelt: Sie schulen ihre Achtsamkeit und Wahrnehmung bezüglich ihrer jüngeren und älteren Persönlichkeitsanteile. Sie nehmen das innere Hin- und Herwandern zwischen den verschiedenen Altersstufen bewusst wahr. Sie finden in der aktuellen Lebensphase Zugang zu den Qualitäten der anderen Lebensphasen. Sie können sich an vergangene Verhaltens¬weisen, Gefühle, Fähigkeiten, Einstellungen, Grund¬stimmungen zurückzuerinnern oder auf diese vorgreifen. Wenn sie spüren, dass sie nicht erwachsen und angemessen auf eine Situation reagieren, helfen ihnen die folgenden Fragen: Wie alt fühle ich mich gerade? Was habe ich in diesem Lebensalter erlebt und gefühlt? Was hätte ich gebraucht? Wie habe ich ein ähnliches Problem in der Vergangenheit bewältigt? Möchte ich heute eine andere Lösung dafür finden? Welche Qualität meines jüngeren Ich kann mir bei der Lösung dieses Problems helfen? Welche Botschaft hätte mein jüngeres Selbst für mich? Was würde mein älteres, weiseres Ich zu der aktuellen Situation sagen? Sie entfalten die positiven Qualitäten einer jeden Altersstufe, integrieren sie in ihr jetziges Ich und nutzen die Qualitäten ihrer jüngeren und älteren Persönlichkeitsanteile, um ihre aktuellen Herausforderungen zu meistern.
Meine Forschungsreise:
Während meiner Forschungsreise begann ich mich und mein Leben zu verändern: Verschiedene, widersprüchliche Anteile von mir, wie Verletzlichkeit und Stärke, Mut und Vorsicht konnten integriert werden. Überholte Gedankenmuster, wie „Dafür bin ich schon zu alt.“ oder „Dafür bin ich noch zu jung.“ konnte ich ziehen lassen. Ich habe belastende Beziehungen verändert, den Wohnbereich verschönert und den Arbeitsbereich meinen neuen Bedürfnissen und Visionen entsprechend gestaltet. Nichts ist geblieben wie es war. Diese Reise war kein bequemer, aber ein aufregender, verjüngender und gleichzeitig reifender Prozess. Ich befinde mich in der letzten Phase der Mutterschaft und der Wechseljahre, doch sind durch den Prozess des Forschens alle Lebensphasen in mir näher zusammengerückt. Ich spüre das kleine Mädchen in mir ebenso wie die alte Weise und auch die junge Frau. Ich erkenne viel schneller, in welchem Alterszustand ich mich gerade befinde. Mitunter brauche ich nur einen gewissen Tonfall von meinem Liebsten zu hören, und schon spüre ich das verletzte Mädchen in mir. Mal reicht ein vielsagender Blick, und ich werde zum errötenden Teenager. Mal bin ich junge, sinnliche Geliebte, mal fürsorgliche Mutter und mal die weise Alte, die sich darüber wundert, inmitten des banalen Alltagstrubels etwas so Kluges gesagt zu haben. In uns allen lebt das Kleine, das Junge, das Reife und das Alte, und wir bewegen uns leichtfüßig zwischen den Altersstufen und Zeiten hin und her, als wandelten wir von einem Raum in den anderen. Wir sind nicht »Entweder jung oder alt« sondern in vielerlei Hinsicht »Sowohl jung als auch alt«. Diese Form der Alterslosigkeit schlummert in jeder von uns. Warum erwecken wir sie nicht?
Der Artikel enthält Auszüge aus dem neuesten Buch von Sabine Groth: „Jede Zeit ist deine Zeit: Wie Frauen Weisheit, Heilung und Kraft aus jeder Lebensphase schöpfen“ erschien im März 2021 im Verlag Neue Erde
Sabine Groth ist Körperpsychotherapeutin, Paartherapeutin, Seminarleiterin und Autorin. Sie bietet Jahrestrainings und Seminare für Frauen, Paartrainings, Einzeltherapie, Paartherapie und -beratung an. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Johanna Fröhlich Zapata hat sie die Feministische Coaching Akademie gegründet.
Nächste Seminarstarts 2021: 3.11. Frauentraining; 13.11. Paartraining; 26.11. Feministische Coaching Ausbildung, Info und Kontakt unter: Tel. 0159-014 628 15 oder im Internet unter www.sabine-groth.com
Schulen in der Coronakrise: Warum Empathie von Pädagogen gerade heute so wichtig ist ... von Peter Maier
Zurzeit
dreht sich in der Schule alles um Corona und um die dadurch bedingten
Umstände: Maskenpflicht, Hygienekonzept, Abstandsregelungen,
Digitalisierung, Homeschooling/Distanzunterricht, Bereitstellung von
genügend Tabletts, funktionierendes Internet usw. Es geht darum, die
Schulen irgendwie am Laufen zu halten und eine Schulschließung möglichst
zu vermeiden. Ich habe großen Respekt vor allen Schülern und Lehrern*,
die unter diesen schwierigen, sich täglich oder wöchentlich verändernden
Bedingungen lernen und lehren müssen. Es ist eine schwere Zeit ...
Was
aber in dieser ganzen Aufregung vollkommen auf der Strecke bleibt, ist
die eigentliche Pädagogik, die auch in Corona-Zeiten eine
Bindungsbildung bleiben muss. Die Pädagogik sollte stets ein doppeltes
Ziel verfolgen: Den Schülern einerseits Fachwissen und Kompetenzen zu
vermitteln (Bildungsziel I) und sie zugleich bei ihrem Prozess der
Persönlichkeitsentwicklung, Charakter- und Herzensbildung sowie in der
Werterziehung zu begleiten – auf ihrem Weg durch ihre Pubertät hin zum
Erwachsenwerden (Bildungsziel II). Darin sehe ich unsere eigentliche
pädagogische Aufgabe als Lehrer, auch wenn diese nicht so leicht
greifbar und messbar ist wie etwa die Versorgung jedes Schülers mit
einem neuen Tablett.
Digitalisierung versus Pädagogik?
Was
bei der gegenwärtigen Schul-Diskussion jedoch leicht übersehen wird:
Unsere Schüler sind eben keine kalten, digitalisierten, nur „hirnig“
ausgerichteten Lernroboter, sondern Kinder und Jugendliche in ihrer
Entwicklung: in ihrer bisweilen mühsamen und langwierigen
Persönlichkeitsbildung. Und das in Zeiten einer als immer unsicherer
empfundenen globalisierten Welt, die von Terrorangst, Handelskriegen,
einem sich völlig egozentrisch gebärdenden Donald Trump, von der
berechtigten Angst ums Weltklima und eben vom Coronavirus beherrscht
wird.
Natürlich wird von uns Lehrern
erwartet, dass wir uns der digitalen Entwicklung an den Schulen stellen
und die uns anvertrauten Schüler Wissens-fit und Technik-kompetent für
die Zukunft in einer sich immer schneller drehenden Welt machen – auch
in der Coronakrise, in der die Digitalisierung durch die Notwendigkeit
des Homeschooling gerade einen kräftigen Schub nach vorne erfährt. Es
gibt immer mehr Stimmen aus der Wirtschaft und der Politik, die die
Coronakrise deshalb letztlich sogar als Glücksfall oder zumindest als
Ereignis mit unerwartet positivem Nebeneffekt sehen wollen. Als Pädagoge
mit 40-jähriger Berufserfahrung möchte ich jedoch einen
leidenschaftlichen Appell an meine Lehrer-Kollegen, sowie an alle
Bildungspolitiker und „Lehrplan-Macher“ richten: „Vergesst jetzt die
Pädagogik nicht!“
Der
Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg und
Bildungsforscher Professor Dr. Klaus Zierer argumentiert aufgrund vieler
Forschungsergebnisse gegenüber diesem falschen Optimismus bezüglich der
Digitalisierung in Politik und Wirtschaftskreisen so: „Digitale Technik
allein verbessert den Unterricht nicht … Wenn man angesichts von mehr
als 40-jähriger Forschung zum Einsatz von digitalen Medien und dem damit
verbundenen Ergebnis, dass sie nicht von sich aus wirken, immer noch
glauben kann, dass sie Bildungsrevolutionen auslösen oder in
Krisenzeiten zum Heilsbringer avancieren, zeugt von pädagogischer
Naivität.“ Das gilt auch in der jetzigen Coronakrise.
Nach
Dr. Zierer hat der Digitalisierungsschub in Folge von Corona
tatsächlich zu einer Transformation von Schule geführt, jedoch eher in
eine negative Richtung. Denn die Schule ist heute seiner Ansicht nach
kein Bildungsort mehr, sondern zu einem bloßen Lernort verkümmert, an
dem nur noch das unterrichtet wird, was von ökonomischem Interesse ist.
Der musische Bereich geht gerade völlig unter, und wir steuern nicht nur
aus diesem Grund auf eine neue Bildungskatastrophe zu.
Weiche Faktoren in der Pädagogik bleiben gefragt?
Man
lügt sich auch rein pädagogisch in die Tasche, wenn man in der
Digitalisierung – in Smartboards für jedes Klassenzimmer, in Tablets für
alle Lehrer und Schüler und in gut funktionierenden Lernplattformen in
allen Schulen – das Allheilmittel der Pädagogik und die Zukunft von
Schule sieht. Die Coronakrise macht uns gerade sehr deutlich, worum es
in der schulischen Erziehung stets gehen muss. Im Zentrum unseres
pädagogischen Denkens darf nicht die Frage stehen: „Haben wir
ausreichend Tablets? Sondern die pädagogische Frage schlechthin: Wer ist
der Mensch?“
Gerade jetzt in der
Coronakrise sind „weiche“ Faktoren in der Pädagogik mehr gefragt denn
je. Darunter verstehe ich vor allem „Soft Skills“ wie Mitgefühl, Liebe
und Empathie unseren Schülern gegenüber. Diese Eigenschaften sind
entscheidend, auch wenn sie schlecht messbar und schon gar nicht
operationalisierbar sind.
Gerade in uns Lehrern suchen die Schüler einen Menschen,
- der ihnen neben der Wissensvermittlung Orientierung gibt – auf ihrem Weg durch die Pubertät und hin zum Erwachsensein;
- der ihnen notwendige Grenzen setzt und Leitplanken bietet, wenn sie über das Ziel hinausschießen;
- der
Geduld und Mitgefühl zeigt, wenn sie Probleme haben – etwa weil sich
die Eltern gerade trennen, eine Beziehung zerbrochen ist, Opa oder Oma
gestorben sind oder weil sich ein schulischer Misserfolg eingestellt
hat;
- der sie – einem Magier gleich – immer wieder durch
seine Fächer, Themen und Projekte begeistern, aufbauen und vor allem
emotional erreichen kann;
- der auch im digitalen Zeitalter die Einstellung beherzigt: „Erziehung durch Beziehung“;
- der
eben Empathie-fähig ist, einen guten Draht zu ihnen hat, und der ihnen
in unserer schnelllebigen Zeit ein Anker ist, an dem sie sich immer
festhalten können.
Kurzum: Unsere
Schüler brauchen im Lehrer vor allem einen Menschen, der ihnen im
Klassenzimmer gegenüber steht, der sie liebt, sie als Individuen
wahrnimmt, ihnen zugewandt ist und ihnen Mut macht. Diese Einstellung
ist umso wichtiger in Zeiten des „digitalen Klassenzimmers“ wie jetzt in
der Coronakrise während des Lockdowns (also bei
Homeschooling/Distanzunterricht). Dr. Zierer folgert daher in diesem
Zusammenhang: „Wer aus pädagogischer Sicht erfolgreich durch die Krise
kommen und vor allem auch aus der Krise lernen möchte, der muss für eine
Rehumanisierung der Schule eintreten.“
Julia fühlt sich betrogen
Was
damit gemeint sein könnte, wird deutlich, wenn wir eine Stimme einer
Betroffenen hören: Julia, 17 Jahre, Schülerin eines Münchner Gymnasiums,
gehört dem Abitur-Jahrgang 2019/21 an und will heuer das Abitur
absolvieren. Nach einem Beschluss der Kultusminister-Konferenz wird es
trotz Corona ein Abitur geben. Gott sei Dank! Aber Julia fühlt sich – so
wie viele ihrer KollegInnen auch – um ihre Oberstufe betrogen. Denn sie
war im März 2019 gerade am Beginn ihres zweiten Semesters, als die
Krise hereinbrach. Das zweite, dritte und vierte Semester konnte und
kann nur unter Corona-Bedingungen stattfinden – mit Lockdowns,
Home-schooling, im Distanzunterricht und mit einschneidenden Maßnahmen,
falls Unterricht (etwa in Halbkursen mit Maskenpflicht) an der Schule
überhaupt erlaubt ist und über die Bühne gehen kann.
Julia vermisst schmerzlich:
- den natürlichen sozialen Austausch mit ihren MitschülerInnen;
- die
Diskussionen in den Unterrichtsstunden; denn für sie ereignet sich
Wissenszuwachs nicht im bloßen Büffeln zu Hause, sondern im lebendigen
Unterrichtsgespräch;
- Exkursionen und Studienfahrten;
- die
Feste und Feiern während des Schuljahres: Konzerte, Gottesdienste,
Sportveranstaltungen, Abiturstreich, Abiturfeier und Abiturball,
Vorträge von externen Gästen, Vollversammlungen des ganzen Abiturkurses
usw.;
- die Pausen und Freistunden während eines
Schulvormittags, in dem zwanglose Kontakte geknüpft, Absprachen auf dem
kürzesten Kommunikationsweg geschehen können und in der Schulmensa
gemeinsam das Mittagsmahl eingenommen werden kann;
- überhaupt das Grundgefühl, in ihrer Schule wirklich zu Hause zu sein.
Dies
alles und noch vieles mehr macht für sie das Schulleben aus. Das, worum
es Julia geht, drückt Dr. Zierer verallgemeinert so aus: „Schule ist
nicht nur Lernort, sondern Lebensraum. Dazu gehört der soziale Austausch
und deswegen auch das soziale Lernen. Der wichtigste Grund für Schüler,
in die Schule zu gehen, ist nicht das Lernen – es sind die
Gleichaltrigen.“
John Hattie macht Mut in der Krise und weitet den pädagogischen Blick
Der
neuseeländische Bildungsforscher John Hattie erfährt gerade durch die
Coronakrise die volle Bestätigung seiner Forschungsergebnisse
(Auswertung von 800 Meta-Analysen), die er in seinem Aufsehen erregenden
Buch „Visible Learning“ ... (zu Deutsch „Lernen sichtbar machen“)
dargelegt hat. Denn sein bereits 2013 in deutscher Übersetzung
erschienenes Werk hat den Anspruch, die wichtigste Frage aller
Bildungsforschung umfassend zu beantworten: Was ist guter und effektiver
Unterricht?
John Hattie konnte diese
Frage beantworten, weil er den verschiedenen Unterrichtsmethoden und
Lernbedingungen Einflussfaktoren zuordnete, die er als „Effektstärken“
bezeichnete. Mit diesen insgesamt 138 Effektstärken konnte er ein
Ranking aller für den Lernerfolg wichtigen Einflussfaktoren erstellen.
Diese geben einen wirklich interessanten Hinweis darauf, welche von
ihnen für sich genommen das Lernen hemmen und welche es fördern. Die
Hattie-Studie ergab: „Was Schüler lernen, bestimmt der einzelne
Pädagoge. Alle anderen Einflussfaktoren – die materiellen
Rahmenbedingungen, die Schulformen oder spezielle Lernmethoden – sind
dagegen zweitrangig. Auf den guten Lehrer kommt es also an.“
Interessant
ist diese Studie gerade jetzt in Corona-Zeiten. Denn im Ranking der
Effektstärken (auch „Hattie-Faktoren“ genannt) nehmen die „Klarheit der
Lehrperson“ und die „Lehrer-Schüler-Beziehung mit Platz 8 und Platz 11
somit ganz vordere Plätze ein, die „Klassenführung“ immerhin noch Platz
42. Hattie selbst sagt dazu: „Die Wirksamkeit der positiven
Lehrer-Schüler-Beziehung ist entscheidend dafür, dass Lernen stattfinden
kann. Zu dieser Beziehung gehört, dass den Lernenden gezeigt wird, dass
den Lehrpersonen ihr Lernen als Schülerinnen bzw. Schülern wichtig ist.
Dann werden die Kräfte zur Entwicklung eines wärmenden
sozio-emotionalen Klimas im Klassenzimmer, das fördernde Bemühen und
damit das Engagement für alle Lernenden aktiviert.“
Daran
kann man sehen, wie der ganze Lernprozess während des
Distanzunterrichts leidet – ja leiden muss. Denn die gleiche
Hattie-Studie offenbart auch, was gerade von Außenstehenden bisweilen so
hochgepriesen wird: die Bedeutung der Digitalisierung und des
Homeschooling. Im Ranking der 138 Hattie-Faktoren bekommt der
„computergestützte Unterricht“ als Effektstärke lediglich Platz 71, die
im Homeschooling vielbeschworene Individualisierung Platz 100 und das
„Webbasierte Lernen“ (Nutzung des Internets) nur Platz 112.
Kommen
wir zum Schluss der Diskussion. John Hattie belegt wissenschaftlich,
was viele Lehrer tief in ihrem „Pädagogen-Herzen“ längst wissen:
Schulische Erziehung geht nur über eine lebendige Beziehung zwischen
Schülern und Lehrern.
Der
Digitalisierung sei Dank, dass Schule derzeit überhaupt stattfinden
kann. Dies sollte man durchaus würdigen. Aber allen muss klar sein, dass
der momentane digitalisierte Distanzunterricht nur einen „Notfall von
Schule“ darstellen kann. Dieser sollte vor dem Hintergrund dieser
Ausführungen niemals beschönigt werden.
Ich
kann nur allen Beteiligten wünschen, dass die Coronakrise bald abebbt.
Was man noch vor einem guten Jahr nicht für möglich gehalten hätte: Die
meisten Schüler sehnen sich jetzt nach einem normalen Schulbetrieb und
wollen wieder gerne in die Schule gehen – zurecht.
Angaben zu zitierten Aussagen:
--, --, --,
Peter Maier
(Autor) ist Lehrer für Physik und Spiritualität. Literatur von Peter
Maier: „Heilung – Initiation ins Göttliche“, Epubli Berlin, ET 2016, 2.
Auflage 2020, Softcover: ISBN 978-3-95645-313-7; 18,99 Euro, eBook:
ISBN: 978-3-752956-91-7; 11,99 Euro
Lesetipp:
Neuestes
Buch von Peter Maier: „Heilung – Plädoyer für eine integrative
Medizin“, Epubli Berlin, ET 6.2020, Softcover: ISBN 978-3-752953-99-2;
18,99 Euro, eBook: ISBN: 978-3-752952-75-9; 12,99 Euro